Bericht zum Praktikerseminar Medienrecht im Wintersemester 2014/2015
Die Deutsche Welle im Umbruch
Auf Einladung des Vereins Alumni Medienrecht Köln e.V. und des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln fanden sich am 28. Januar 2015 Freunde und Förderer des Alumni-Vereins, Studierende der Rechts- und Medienwissenschaften, Richter, Fachanwälte und interessierte Gasthörer im Tagungsraum des Neuen Seminargebäudes ein, um an der Abschlussveranstaltung der Vortragsreihe „Praktikerseminar Medienrecht“ im Wintersemester 2014/15 teilzunehmen. Gerda Meuer, Programmdirektorin der Deutschen Welle, referierte zu dem Thema „Die Deutsche Welle im internationalen Wettbewerb: Herausforderungen und Chancen“ und stellte sich in einer Diskussionsrunde den Fragen der Zuhörerschaft.
In ihrem Vortrag bezeichnete Meuer die Neuausrichtung der Deutschen Welle während der letzten Jahre als größte Umstrukturierung in der Geschichte des 1953 gegründeten deutschen Auslandssenders. Sie beschrieb die Maßnahmen, mit denen die Verantwortlichen des Senders auf die weltweiten Veränderungen des Mediennutzungsverhaltens und den zunehmenden Wettbewerb auf dem Gebiet des Auslandsrundfunks reagieren. Angesichts aktueller Ereignisse und Konflikte in der Auslandsberichterstattung wurde den Teilnehmern des Praktikerseminars deutlich, welches Potenzial ein deutscher Auslandssender auch in einer digitalen und vernetzten Medienwelt in sich trägt. So zeigte die Programmdirektorin anhand der starken Zunahme von Zugriffen auf die russischen und ukrainischen Online-Angebote der Deutschen Welle im letzten Jahr beispielhaft auf, welche Bedeutung dem Sender insbesondere in Kriegs- und Krisengebieten sowie in Regionen mit keinem oder nur eingeschränktem Zugang zu freier Presse bereits heute zukommt und weiterhin zukommen kann.
Durch einen massiven Ausbau des Onlineangebots, der Nutzbarkeit für verschiedene Endgeräte, die Einführung interaktiver Angebote sowie eine verstärkte Präsenz in Sozialen Netzwerken will der Sender diese Rolle weiter stärken und vermehrt auch jüngere Zielgruppen ansprechen. Trotz der weltweit wachsenden Bedeutung des Online-Marktes für Medienanbieter gewinne in den Schwellenländern auch das lineare Fernsehprogramm für die Deutsche Welle an Relevanz, berichtete Meuer. In diesem Bereich möchte sich die Deutsche Welle aber zukünftig auf englischsprachige Angebote konzentrieren. Der Fernsehkanal “DW News”, der ab Juni 2015 senden wird, soll die Deutsche Welle unter anderem durch eine Stärkung der zeitnahen Berichterstattung sowie mehr Möglichkeiten der Partizipation für den Zuschauer konkurrenz- und zukunftsfähig erhalten.
Die wachsende Schnelligkeit des Informationsflusses wie auch die Vielzahl an Quellen bieten neben Chancen auch Risiken. Meuer verwies auf die Ereignisse um den Terroranschlag auf die Mitarbeiter des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris und das in diesem Zusammenhang entstandene Video eines Anwohners, welches die Erschießung eines Pariser Polizisten zeigte. Das Video hatte sich in kürzester Zeit zunächst in den Sozialen Medien verbreitet, ehe es von einigen Fernsehsendern und auf den Online-Portalen einiger Zeitungen veröffentlicht bzw. verlinkt wurde. In der Berichterstattung über die Ereignisse habe auch die Deutsche Welle das Bildmaterial zunächst ungefiltert verwendet, ehe man aus Gründen der Anteilnahme und Diskretion davon Abstand nahm, so Meuer.
Die Frage, ob und wie derartiges Material verwendet werden darf, sollte oder gar muss, wurde nicht nur in den Nachrichtenredaktionen, sondern auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Tragweite der Entscheidung wurde spätestens durch das Bekanntwerden des Leids der Familie des Polizisten, welche durch die tagelange Berichterstattung immer wieder mit der Sterbeszene konfrontiert worden war, mehr als deutlich. Bei der durch die einzelnen Redaktionen zu treffenden Abwägung sind zunächst sowohl der Schutz des Opfers, in seiner Todesangst und seinem Sterben nicht der Weltöffentlichkeit ausgesetzt zu werden, als auch der Schutz seiner Angehörigen und der übrigen Rezipienten vor der Konfrontation mit derartigen Bildern zu berücksichtigen. Es liegt zudem im Interesse seriöser Medienanbieter, sich nicht selbst zum Werkzeug des Terrorismus zu machen, der gerade darauf abzielt, Angst und Schrecken zu verbreiten. Dem gegenüber stehen das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, der journalistische Wunsch, das Geschehene möglichst umfassend zu dokumentieren und die Tatsache, dass das Material zumeist durch die Sozialen Medien bereits öffentlich zugänglich gemacht worden ist. Im Kodex des Deutschen Presserates heißt es in diesem Zusammenhang in Richtlinie 11.1: „Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.“ Eine pauschale Antwort darauf, wann die Grenze zur Unangemessenheit erreicht ist, lässt sich kaum finden, sie muss also im Einzelfall durch die Redaktion getroffen werden. Im erwähnten Fall verzichteten viele Medienanbieter allerdings auf eine Verwendung des Videos bzw. zeigten lediglich Ausschnitte und Standbilder aus den ersten Sequenzen, ein Entschluss, welchen die französische Rundfunkaufsichtsbehörde Conseil Supérieur de l’Audiovisuel (CSA) mit seinen am 11. Februar 2015 veröffentlichten Entscheidungen bestätigte. Der CSA urteilte darin, dass die Veröffentlichung des kompletten Videos sowie der Abbildung seines Gesichts kurz vor der Tat durch zwei französische Fernsehsender das Opfer in seiner menschlichen Würde verletzt habe.
Die rechtlichen und ethischen Fragen der Abwägung zwischen Pressefreiheit auf der einen und persönlichkeitsrechtlichen Schutzinteressen auf der anderen Seite haben sich durch das veränderte Mediennutzungs- und -anbieterverhalten nicht grundlegend geändert, sie stellen sich jedoch – wie auch Fragen nach der Echtheit des kursierenden Bild- und Tonmaterials – durch die zunehmende Verwendung nutzergenierter Inhalte immer häufiger. Die entsprechenden Strukturen zu schaffen, um diese Fragen zeitnah und trotzdem mit der nötigen journalistischen Sorgfalt zu beantworten, ist eine der Herausforderungen moderner Nachrichtenberichterstattung, mit denen sich nun auch die Deutsche Welle auseinanderzusetzen hat.
Die geplante Konzentration auf den neuen englischsprachigen Nachrichtenkanal stellt – auch wegen der drohenden Einstellung der arabischen, spanischen und deutschen Kanäle – eine der einschneidendsten und gleichzeitig umstrittensten Veränderungen innerhalb des Umstrukturierungsprozesses der Deutschen Welle dar. Nach § 4 Deutsche-Welle-Gesetz ist es Aufgabe des Auslandssenders, Deutschland „als europäisch gewachsene Kulturnation und freiheitlich verfassten demokratischen Rechtsstaat verständlich (zu) machen“ sowie insbesondere die deutsche Sprache zu fördern. Die Frage, inwiefern eine Einstellung des deutschen Fernsehkanals mit dieser gesetzlichen Zielsetzung vereinbar wäre, war bereits im Dezember während des Seminarvortrags von Dr. Peter Niepalla, Justitiar der Deutschen Welle, über die „Aufgaben und Stellung des Auslandsrundfunks im digitalen Zeitalter“ thematisiert worden. Beide Referenten zeigten sich überzeugt, dass die Deutsche Welle diesem Anspruch auch ohne einen eigenen deutschsprachigen Nachrichtenkanal gerecht werden könne und verwiesen dabei auf die weiterhin bestehenden deutschsprachigen Online-Nachrichten sowie -Deutschkurse. Die Konzentration auf Englisch als Weltsprache und als Sprache der „globalen Entscheider“, welche die Deutsche Welle als Zielgruppe besonders ansprechen möchte, bedeute keine anglo-amerikanische Ausrichtung des Programms: Die Deutsche Welle werde weiterhin aus einer deutschen bzw. europäischen Perspektive Nachrichten vermitteln, betonte Meuer.
Ein Blick auf das angesprochene Webangebot der Deutschen Welle macht gleichzeitig aber auch umso deutlicher, dass Deutsch schon jetzt nur eine von 30 Sprachen des Auslandssenders ist. Eine besondere Konzentration auf die deutsche Sprache lässt sich dem Sender damit bereits heute nur schwer attestieren. Nachrichten aus und über Deutschland dagegen finden sich in allen Sprachen des Onlineangebots der Deutschen Welle.
Die Frage, inwiefern eine Deutsche Welle, die sich vor allem auf ein englischsprachiges Angebot konzentriert, noch ihrer gesetzlichen Funktion als Vermittlerin Deutschlands in der Welt gerecht werden kann, führte zu einer hitzigen Debatte auch im Deutschen Bundestag. Für die Senderverantwortlichen brachte es eine gewisse Entspannung der Situation als im Februar bekannt wurde, dass die Bundesregierung in ihrer aktuellen Haushaltsplanung ab 2016 eine Aufstockung des Etats der Deutschen Welle um zwölf Millionen Euro vorsieht – eine Ankündigung, durch welche die drohenden Einsparungen am deutschsprachigen Programm zumindest vorerst abgewendet scheinen. Diese Wendung unterstützt und erweitert somit im Nachhinein Meuers Aussage im Rahmen der Diskussion, dass die Anpassung des Deutsche-Welle-Konzepts an das gewandelte Nutzungsverhalten mit dem zur Verfügung stehenden Etat zu leisten sei.
Von Gesa Kaselow
Studentische Hilfskraft am Institut für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln